Jumana AlHaj Abed neue Gruppenleiterin am MPI-IE
Neues Labor will die Geheimnisse der Chromosomenpaarung entschlüsseln
Das Max-Planck-Institut für Immunbiologie und Epigenetik freut sich, Dr. Jumana AlHaj Abed als neue Gruppenleiterin willkommen zu heißen. Sie erforscht, wie unser vererbtes genetisches Material mit unseren Zellen interagiert und welche weitreichenden Folgen dies für unser Verständnis von Genregulation, Entwicklung und Krankheiten hat. Im Mittelpunkt steht das Zusammenspiel zwischen epigenetischen Prozessen und der Art und Weise, wie das genetische Material der Eltern im Zellkern verpackt wird. Das Labor erforscht, wie die Genregulation zwischen mütterlichen und väterlichen Chromosomen abgestimmt wird.
In jedem Zellkern existieren die Chromosomen nicht als isolierte Einheiten, sondern als miteinander interagierende Strukturen. Wie Chromosomen organisiert und gefaltet sind, beeinflusst, wie Gene reguliert werden und verschiedene Prozesse in unserem Körper gesteuert werden – bedeutsam für alle Lebewesen, von der Fruchtfliege bis zum Menschen.
Das neu gegründete Labor von Jumana AlHaj Abed am MPI-IE will diese nicht zufälligen Strukturen der Chromosomenorganisation und Genregulation erforschen. Mit Hilfe modernster Techniken wie superauflösender Bildgebung und Methoden zur Untersuchung der räumliche Organisation von Chromatin in einer Zelle, erforscht das Team die Organisationsprinzipen des Genoms der Genomorganisation, die Faltung homologer Chromosomen auf verschiedenen Größenskalen und die Auswirkungen irregulärer Chromosomenfaltung.
Verstehen, wie sich die Chromosomen der Eltern jeweils einbringen
„Eines unserer Hauptinteressen ist zu verstehen, wie die Chromosomen, die wir von unseren Müttern und Vätern erben, in unseren Zellen interagieren und kommunizieren. Obwohl wir einige Mechanismen der Genregulation innerhalb eines einzelnen Chromosoms verstehen, ist weniger über die Mechanismen bekannt, die Interaktionen zwischen mütterlichen und väterlichen Chromosomen steuern,“ sagt Jumana AlHaj Abed. Diese Wissenslücke resultiert größtenteils aus der Herausforderung, zwischen den beiden Chromosomensätzen zu unterscheiden, angesichts ihrer nahezu identischen Sequenzen. „Indem wir allelespezifische genomische Methoden einsetzen und die neuesten Fortschritte in der Bildgebung nutzen, haben wir diese Herausforderung, also die Beiträge der Chromosomen jedes Elternteils zu unterscheiden, überwunden, die die Wissenschaft lange beschäftigte. Jetzt wollen wir die Feinheiten der Genregulation zwischen mütterlichen und väterlichen Chromosomen entwirren, insbesondere im Kontext der Zellkernumgebung.“
Interaktionen von homologen, also gleichartigen Chromosomen, die jeweils von Vater und Mutter stammen sind entscheidend für die Genomfunktion bei Fruchtfliegen und Säugetieren. Bei der Fruchtfliege Drosophila paaren sich Chromosomen jedes Elternteils kontinuierlich und auf sehr strukturierte Weise, was die Genaktivität beeinflusst. Bei Säugetieren, einschließlich dem Menschen, ist diese Paarung weniger häufig und erfolgt nur vorübergehend. Dennoch ist sie entscheidend für wichtige Prozesse wie DNA-Reparatur, Zellentwicklung und wie bestimmte Gene ein- oder ausgeschaltet werden.
Chromosomenpaarung und Genregulation
Die Arbeit des Teams will verstehen, wie diese gepaarten Chromosomen gefaltet werden und wie sie zur Genregulation in verschiedenen Geweben beitragen. Bei Drosophila weisen Forschungsergebnisse darauf hin, dass diese Interaktionen komplex sind und Schleifen sowie Domänen beinhalten, wobei die Genexpression je nach Ausrichtung der homologen Chromosomen unterschiedlich beeinflusst wird. Jüngste Studien an Säugetieren liefern zunehmend Hinweise auf eine somatische homologe Paarung, die der bei Drosophila ähnlich ist.
Die Forschung des Labors von AlHaj Abed ist jedoch nicht nur von grundlagenorientiert – sie trägt auch wesentlich zum Verständnis der menschlichen Entwicklung und bestimmter Krankheitsmechanismen bei. Mehr dazu im Interview auf dieser Seite.
Wir freuen uns sehr, Jumana an unserem Institut begrüßen zu dürfen. Ihr Expertise auf dem Gebiet der somatischen Paarung homologer Chromosomen fügt sich nahtlos in das Forschungsprogramm des MPI ein,” sagt Ibrahim Cissé, Geschäftsführender Direktor des MPI für Immunbiologie und Epigenetik. „Jumanas Fokus auf die Erforschung der Feinheiten der chromosomalen Organisation ist eine perfekte Ergänzung für uns. Wir sind gespannt auf Ihre Studien, die unsere Bemühungen bereichern, das Wissen auf diesem Gebiet der Epigenetik zu erweitern. Ihre Rekrutierung unterstreicht auch unser Ziel, das MPI in Freiburg zu einem führenden Zentrum für innovative biophysikalische Forschung zu entwickeln.“
Jumana AlHaj Abed ist seit Dezember 2023 offiziell am Max-Planck-Institut für Immunbiologie und Epigenetik in Freiburg tätig. Ihr Labor hat offene Stellen für Postdocs und Technische Assistenzen.
Interview
Können Sie Ihr derzeitiges Forschungsgebiet beschreiben und wie sich Ihr Arbeitsschwerpunkt in den letzten Jahren entwickelt hat?
Nachdem ich promoviert hatte, entwickelte ich ein tiefergehendes Interesse daran, wie epigenetische Programme de novo in der Entwicklung initiiert werden. Dann, während meiner Zeit als Postdoktorandin, entdeckte ich meine Wertschätzung für die Fortschritte in den Bildgebungs- und Sequenzierungstechnologien. Ich nutzte diese, um neue Ansätze zu entwickeln, die es mir erlauben mütterliche von väterlichen Sequenzen zu unterscheiden. Und so können wir zukünftig versuchen, diese Forschungsfragen auch auf globaler genomischer Ebene zu beantworten.
Die Forschung in meinem Labor wird sich darauf konzentrieren, bedeutsame Interaktionen zwischen mütterlichen und väterlichen Chromosomen auf Genebene zu differenzieren. Wir wollen verstehen, wie diese Interaktionen mit epigenetischen Markierungen in verschiedenen Gewebetypen zusammenwirken. Ziel ist es auch, den schrittweisen Prozess zu entschlüsseln, durch den mütterliche und väterliche Chromosomen miteinander kommunizieren – wann und wie dies geschieht und welche Faktoren diese Kommunikation begünstigen.
Während Ihrer Postdoc-Zeit im Labor von Chao-Ting Wu haben Sie sich auf sogenannte 3C-Methoden, also Methoden zur Erfassung der räumlichen Organisation von Chromatin (Hi-C) kombiniert mit Next Generation Sequencing (NGS) sowie Super-Resolution-Imaging-Techniken spezialisiert. Wie können dies Technologien Ihnen helfen, Ihre Forschungsziele voranzubringen?
Es handelt sich dabei um leistungsstarke und komplementäre Instrumente. Hi-C ermöglicht es uns, einen umfassenden Überblick über das Genom auf der Ebene von Zellpopulationen zu erhalten. Dies gibt uns Einblicke in die genomische Organisation und Interaktion auf einer sehr breiten Ebene. OligoSTORM hingegen ermöglicht eine extrem detaillierte Betrachtung des Genoms auf der Ebene einzelner Zellen. Diese Methode erreicht eine superhohe Auflösung von bis zu 10 Nanometern, was uns eine dreidimensionale Sicht auf die genetischen Strukturen einzelner Zellen bietet.
Das letztendliche Ziel ist es, die Vorteile beider Techniken zu kombinieren. Damit wollen wir die Interaktionen und Kommunikationswege des gesamten Genoms in dieser hochauflösenden erfassen und letztendlich verstehen. Hoffentlich erhalten wir so ein präziseres Bild davon, wie genetische Informationen auf einer sehr feinen Ebene ausgetauscht und verarbeitet werden.
Abgesehen von der reinen grundlagenorientierten, biologischen Neugier und dem Erkenntnisgewinn in Ihrem Fachgebiet, wie könnten Ihre Forschungsergebnisse in der klinischen Praxis genutzt werden?
Obwohl es auf den ersten Blick natürlich so aussieht, als würden unsere Forschungsfragen ausschließlich von wissenschaftlicher Neugier angetrieben, verfolgen sie tatsächlich ein weiterreichendes Ziel: Wir wollen verstehen, wie die Kommunikation zwischen den homologen Chromosomen funktioniert. Ein Verständnis dieser Kommunikationsprinzipien würde es ermöglichen, Probleme besser zu verstehen, die durch Fehlkommunikation zwischen diesen Chromosomen entstehen. Dazu gehören etwa die fehlerhafte Faltung des Chromatins bei Krebserkrankungen und das Auftreten zusätzlicher Chromosomenkopien, wie es bei Trisomien der Fall ist.
Sie zeigen auf Ihrer Website ein Bild, das die Silhouette einer Frau zeigt. Wer ist das und was bedeutet dieses Bild für Sie?
Das ist die Silhouette von Nettie Stevens. Sie war eine bahnbrechende Wissenschaftlerin, die um 1908, also vor über einem Jahrhundert, die Geschlechtschromosomen entdeckte. Mit einem Lichtmikroskop untersuchte sie Fruchtfliegen und erkannte die Paarung homologer Chromosomen während verschiedener Phasen des Zellzyklus. Ihre Entdeckungen waren revolutionär.
Ein weiterer wichtiger Beitrag zu diesem Forschungsfeld kam auch von Ed Lewis. Er erweiterte unser Verständnis über die homologe Chromosomenpaarung. Er zeigte auf, dass bestimmte Mutations gerettet werden können, wenn sie komplementär zueinander sind – ein Phänomen bekannt als trans-allelische Komplementierung. Bereits 1954 machte er diese Entdeckung durch genetische Kreuzungen von Fruchtfliegen und die Beobachtung bestimmter Merkmale. Warum das Phänomen der Chromosomenpaarung bei Drosophila so weit verbreitet ist, ist jedoch noch unbekannt!
Ich denke, es wäre angebracht, auch ein Bild von Ed Lewis einzufügen. Sowohl er als auch Nettie Stevens haben entscheidend zu unserem heutigen Verständnis der Chromosomenstrukturen beigetragen, lange bevor es das Feld der Genomstruktur und -funktion überhaupt gab. Ich bin beeindruckt von ihren Fähigkeiten, schon vor den Fortschritten der molekularbiologischen Techniken zu solch bedeutenden Entdeckungen zu gelangen. Ich hoffe, dass ich diesen schon so alten Fragen mit der gleichen Gründlichkeit angehen kann. Denn es gibt so viel, was wir noch nicht wissen.
Was war die treibende Kraft oder Inspiration für Ihre Entscheidung, eine wissenschaftliche Laufbahn einzuschlagen?
Es fasziniert mich zu verstehen, wie Dinge funktionieren und was schief läuft, wenn sie nicht funktionieren - das gilt von den kleinsten molekularen Zusammenhänen bis hin zum „großen Bild“ auf der Ebene des Organismus. Wie sind unsere Zellen und unsere DNA so gut aufeinander abgestimmte Maschinen?
Außerdem ist die Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen in der Wissenschaft ein so großes Plus, wie weil wir am Ende alle versuchen, dieselben Rätsel auf je eigene, kreative Weise zu lösen.
Was ist der wertvollste Ratschlag, den Sie im Zusammenhang mit der Wissenschaft erhalten haben, und wie hat er Ihre Karriere beeinflusst?
Ideen gibt es wie Sand am Meer und jeder kann eine gute Idee haben. Der entscheidende Unterschied jedoch ist, sich seiner eigenen Perspektive und dem eigenen wissenschaftlichen Ansatz treu zu bleiben. Diese Treue zu sich selbst prägt die Art und Weise der Wissenschaft, die man leisten kann, und macht am Ende den Unterschied aus.
Verraten Sie uns zum Schluss noch einen interessanten Fakt über sich, den wir nicht aus Ihrem Lebenslauf erfahren.
Ich liebe Literatur und das Ingenieurwesen und hätte gerne einen Bachelor-Abschluss in einem der beiden Fachbereiche gemacht. Glücklicherweise kann ich jetzt als Gruppenleiterin viele Experimente selbst „konstruieren“ und hoffentlich zahlreiche wissenschaftliche Geschichten über meine Ergebnisse erzählen.
CV Jumana AlHaj Abed
Dr. Jumana AlHaj Abed, geboren in Jordanien, schloss 2007 ihr Studium in Genetik und Biotechnologie an der Jordan University of Science and Technology mit einem Bachelor ab. Als Fulbright-Stipendiatin setzte sie ihre akademische Laufbahn in den USA fort und erlangte ihren Doktortitel in Molekular- und Zellbiologie an der Southern Methodist University in Dallas, Texas. Ihre Postdoktorandenzeit verbrachte sie zunächst im Labor von Mitzi Kuroda an der Harvard Medical School (Boston, USA), bevor sie ins Labor von Chao-Ting Wu (Boston, USA) wechselte. Dort fokussierte sie sich auf die somatische Paarung homologer Chromosomen. Ihre Forschungsarbeit in dieser Zeit, in Zusammenarbeit mit Kollegen, offenbarte, dass diese Paarung ein hochstrukturierter Prozess ist, der Domänen, Schleifen und Kompartimente umfasst und weitreichende funktionelle Konsequenzen für das gesamte Genom hat. Jumana ist besonders an diesen Konsequenzen und ihrer Beziehung zu epigenetischen Markierungen interessiert. Sie verwendet das Modellsystem der Fruchtfliege und Säugetierzellen, um die Interaktionen zwischen elterlichen Chromosomen in verschiedenen Arten zu erforschen. Dabei kommen Techniken wie Super-Resolution-Mikroskopie und Hi-C zum Einsatz. Seit Dezember 2023 leitet Dr. Al-Haj Abed als unabhängige Gruppenleiterin eine Forschungsgruppe am Max-Planck-Institut für Immunbiologie und Epigenetik in Freiburg.