Neuer Forschungsgruppe erforscht, wie Zellen ihr epigenetisches Gedächtnis weitergeben

Valentin Flury will die Dynamik des Chromatins während des Zellzyklus verstehen

25. Juni 2024

Valentin Flury ist neuer Forschungsgruppenleiter am Max-Planck-Institut für Immunbiologie und Epigenetik in Freiburg. Er und sein Team möchten die Dynamik und Plastizität des Chromatins während des Zellzyklus verstehen und die Mechanismen der Histonvererbung sowie des epigenetischen Gedächtnisses während der DNA-Replikation entschlüsseln.

Vielzellige Organismen wie der Mensch bestehen aus über 250 verschiedenen Zelltypen, obwohl alle Zellen die gleiche genetische Information in ihrem Zellkern besitzen. Diese beeindruckende Vielfalt wird zum Teil durch das Epigenom reguliert, insbesondere durch den Zustand des Chromatins, das zelltypspezifische Genexpressionsprogramme steuert und aufrechterhält. Das Chromatin, die funktionelle Verpackung der DNA, erfährt jedoch bei jeder Zellteilung erhebliche Veränderungen, insbesondere während der DNA-Replikation, wenn das Chromatin aufgebrochen wird, um die DNA-Synthese zu erleichtern.

Die neue Forschungsgruppe von Valentin Flury am MPI-IE will verstehen, wie Chromatinzustände erhalten, wiederhergestellt und reguliert werden und inwiefern ihre Deregulierung die Zellidentität in gesunden und kranken Zellen beeinflusst.

„Zusätzlich zur genetischen Information geben epigenetische Informationen den Zellen Anweisungen, sich an ihre Funktion und Identität zu erinnern,“ sagt Valentin Flury, Leiter der Forschunggruppe. „Wenn sich eine Zelle teilt, muss sie jedoch zahlreiche Herausforderungen wie DNA-Replikation und Mitose gut meistern, um diese Informationen originalgetreu weiterzugeben. In den letzten Jahren haben wir erkannt, dass es spezialisierte Mechanismen gibt, die diese Teilung kontrollieren. Jedoch sind die mechanistischen Details und ihre individuellen Auswirkungen auf die Zellfunktion noch weitgehend unklar – ebenso wie die Frage, ob diese Mechanismen während der Entwicklung reguliert werden. Ich freue mich daher sehr darauf, die molekularen Mechanismen der Epigenom-Erhaltung in Freiburg zu erforschen, und könnte mir dafür keinen besseren Ort vorstellen als das MPI-IE. Hier sind mein Team und ich eingebettet in ein inspirierendes Umfeld von exzellenten Kolleginnen und Kollegen, die an verschiedenen Entwicklungssystemen arbeiten, und wir haben Zugang zu hochmoderner Infrastruktur, die es uns ermöglichen, neue Technologien einzusetzen und unsere ehrgeizigen Projekte anzugehen.“

Herzlich willkommen am MPI-IE, Valentin!

Valentin Flury im Gespräch: Fragen an den neuen Gruppenleiter am MPI-IE

Kannst uns ein bisschen was über dein derzeitiges Forschungsgebiet und erzählen und wie es sich in den letzten Jahren zu deinem Arbeitsschwerpunkt entwickelte?

Zum Beginn meines PhD in Basel war ich sehr daran interessiert, die mechanistischen Prinzipien zu verstehen, wie Chromatin in aktive und inaktive Bereiche unterteilt wird. Dazu habe ich die Spalthefe als Modellorganismus verwendet, die eine Maschinerie mit positiven Rückkopplungsschleifen enthält, die die Bildung von Heterochromatin steuert. Dabei konnte ich zeigen, dass Euchromatin dieser Maschinerie mit eigenen positiven Rückkopplungsschleifen entgegenwirkt. Insgesamt ist es jedoch schwierig, die ersten Schritte in solchen Schleifen zur Etablierung bestimmter Chromatinzustände zu unterscheiden. Die geringe zeitliche Auflösung führt zu dem Dilemma: „Was kommt zuerst?“

Während meiner Postdoc-Zeit habe ich daher an der Entwicklung von Werkzeugen mitgearbeitet, die speziell darauf ausgerichtet sind, die (Wieder-)Errichtung von Chromatinzuständen über die Zeit nach der DNA-Replikation zu verfolgen. Diese neuen Methoden ermöglichen es uns, die individuelle Rolle verschiedener Proteinkomplexe bei der Bildung des Chromatinzustands zu bewerten. Wir kombinieren diese Techniken mit hoher räumlicher und zeitlicher Auflösung mit schnellen Störungsexperimenten, wie z.B. Ansätzen zum Proteinabbau sowie Untersuchungen unter endogenem oder exogenem Stress oder bei Schädigungen der DNA.

Während deiner Zeit in Dänemark hast du einen komplexen Mechanismus entdeckt, mit dem Zellen ihre epigenetische Integrität und zelluläre Identität während der Zellteilung durch sorgfältiges Recycling von Histonmodifikationen bewahren. Welche Forschungsfragen werden Sie darauf aufbauend am Max-Planck-Institut bearbeiten?

Kurz nachdem ich meinen Postdoc in Kopenhagen angetreten hatte, entdeckten wir, dass Zellen während der DNA-Replikation eine spezielle Maschinerie verwenden, um epigenetische Informationen weiterzugeben. Diese bahnbrechende Entdeckung war nur dank eines ausgeklügelten Tracking-Systems möglich, das jeden genomischen Locus von dem Moment an verfolgt, in dem er repliziert wird. In diesem neuen Forschungsgebiet wollen wir nun herausfinden, wie dieser Mechanismus reguliert wird, die beteiligten Faktoren identifizieren und die Wechselwirkungen zwischen den Faktoren untersuchen. Wir untersuchen auch, ob dieser Mechanismus die Identität von Zellen verändern kann, zum Beispiel während der Zelldifferenzierung. Auch für die meisten anderen biologischen Prozesse, die das Chromatin herausfordern, wie Mitose, Transkription und DNA-Schäden, fehlen hochauflösende Tracking-Systeme, d.h. wir können derzeit einen Ort im Genom nicht über einen längeren Zeitraum verfolgen, nachdem die Herausforderung für das Chromatin stattgefunden hat oder der Komplex gebunden wurde. Die Entwicklung solcher Technologien wird ein Schwerpunkt meines Labors sein.

Was denkst du werden die größten Herausforderungen bei den kommenden Projekten sein?

Eine wichtige Lektion, die ich während meiner Doktoranden- und Postdoktorandenzeit gelernt habe, ist, dass biologische Systeme unglaublich schnell agieren und reagieren. Um qualitativ hochwertige Daten zu erhalten, ist eine hohe zeitliche Auflösung entscheidend. Ich bin jedoch zuversichtlich, dass sich diesbezüglich Anstrengungen auszahlen werden, wenn wir die aktuellen Technologien weiterentwickeln und sie mit der Bildgebung lebender Zellen integrieren können. Das ist ein Bereich, in dem das MPI-IE führend ist.

Welche Technologien setzt du ein, um deine Forschungsfragen zu beantworten, und welche Modellorganismen verwendest du in deinen Studien?

Wir werden zuvorderst Genomik- und Proteomiktechnologien in Kombination mit Genome Editing und sowie Technologien zum schnellen Abbau bzw. zur Modulation von Proteinen einsetzen. So können wir die Umgebung detailliert charakterisieren, in die unsere epigenomischen Erhaltungsfaktoren eingebettet sind. Die Erforschung der Reproduktion des Epigenoms mit hoher zeitlicher Auflösung bietet viele Ansatzpunkte. Deshalb freue ich mich, nicht nur Zellkulturmodelle von Säugetieren, insbesondere embryonale Stammzellen der Maus, verwenden zu können, sondern auch die Spalthefe in mein Labor zurückholen zu können. Dieser Modellorganismus erlaubt es uns, nach Proteinen zu suchen, die das Epigenom aufrechterhalten. Er kann in großen Mengen gezüchtet werden, was eine genauere Charakterisierung und einen höheren Durchsatz ermöglicht und im Vergleich zu Säugetiersystemen evolutionäre Einblicke in möglicherweise konservierte Mechanismen liefert.

Was hat dich dazu motiviert, eine wissenschaftliche Laufbahn einzuschlagen?

Ich war schon immer fasziniert von der Komplexität von Systemen und wie sie in viele miteinander verbundene Bausteine zerlegt werden können. Darüber hinaus bieten verschiedene biologische Systeme die erstaunlichsten, vielfältigsten und innovativsten Lösungen zur Bewältigung ihrer Herausforderungen, was das Entschlüsseln dieser Systeme so reizvoll macht.

Was ist der hilfreichste Ratschlag, den du im Zusammenhang mit deiner wissenschaftlichen Karriere erhalten hast, und wie hat er deine Herangehensweise an die Forschung beeinflusst?

Der unglaublichen Kreativität biologischer Systeme kann man nur gerecht werden, wenn man selbst innovativ und divers ist, und deshalb macht es mir großen Spaß, in einem internationalen Team mit unterschiedlichen Hintergründen zu arbeiten. Ein komplexes Projekt mit dem freien Input aller Kolleginnen und Kollegen anzugehen, ist entscheidend für den Erfolg. Wir können nur als Team vorankommen und kreative Problemlösungen funktionieren nur, wenn Vertrauen zwischen den Teammitgliedern besteht.

Verrätst du uns zum Schluss noch einen interessanten Fakt über sich, den wir nicht aus Ihrem Lebenslauf erfahren?

Bis zu meinem letzten Schuljahr wollte ich Fremdsprachen studieren, weil ich es faszinierend finde, wie Sprachen aufgebaut sind und welche Logik hinter den Sprachen steckt. In gewisser Weise funktioniert eine Sprache wie ein biologisches System, mit einzelnen Wörtern als kleine Bausteine, die, wenn sie richtig kombiniert werden, es einem ermöglichen, sie zu sprechen! Dennoch bin ich sehr froh, dass ich mich für das Studium der biologischen Systeme entschieden habe, denn es hört nie auf, mich zu überraschen. Außerdem kann ich immer noch in einer Fremdsprache sprechen, entweder bei der Arbeit in einem internationalen Umfeld wie dem MPI oder auch zu Hause mit meiner dreisprachigen Familie.

Biographie

Valentin Flury studierte Biochemie und Molekularbiologie an der Universität Bern (Schweiz). Er promovierte am Friedrich-Miescher-Institut für biomedizinische Forschung in Basel (Schweiz) und untersuchte, wie aktives Chromatin vor dem Silencing geschützt wird. Nach seiner Promotion forschte Valentin Flury als Postdoktorand am Novo Nordisk Foundation Center for Protein Research (CPR) an der Universität Kopenhagen (Dänemark) unter der Leitung von Prof. Anja Groth. Seine Forschung konzentrierte sich auf die Entschlüsselung der Mechanismen, wie epigenetische Informationen über Zellteilungen hinweg weitergegeben und aufrechterhalten werden. Seit 2024 ist Valentin Flury ein unabhängiger Forschungsgruppenleiter am Max-Planck-Institut für Immunbiologie und Epigenetik in Freiburg.

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