RNA-bindende Proteine und MikroRNAs im Säugetierembryo
Forschungsbericht (importiert) 2010 - Max-Planck-Institut für Immunbiologie und Epigenetik
Posttranskriptionelle Regulation
Die Expression eines Gens wird über die Bindung von Transkriptionsfaktoren (TFs) an den Promotor gesteuert. Es gibt aktivierende und reprimierende TFs; ein Gen kann also an- und auch wieder abgeschaltet werden. Die posttranskriptionelle Regulation ist der transkriptionellen Regulation nachgeschaltet. Die Expression eines Gens, das bereits als mRNA transkribiert vorliegt, kann durch die Bindung von RNA-bindenden Proteinen (RBPs) oder miRNAs an diese mRNA verstärkt oder inhibiert werden. Über diese Mechanismen können Gene vollständig an- und abgeschaltet werden. Es kann aber auch eine Feinjustierung durchgeführt werden, was dazu führt, dass die Expression bestimmter Gene verstärkt oder verringert wird.
RBPs sind Proteine, die RNA-bindende Domänen enthalten und somit direkt an mRNAs binden können. Oftmals, aber nicht immer, binden sie an Sequenzmotive, die in den 3'untranslatierten Bereichen ihrer Ziel-mRNAs liegen. Haben RBPs an Sequenzmotive gebunden, können weitere Proteine, z.B. Translationsfaktoren, rekrutiert werden, was zur Bildung eines Proteinkomplexes führt. Je nachdem, welche Proteine diese Komplexe enthalten, kann entweder die Lokalisation, die Stabilität oder die Translation der Ziel-mRNAs beeinflusst werden. Darüber hinaus können RBPs alternatives Spleißen regulieren, indem sie an Sequenzmotive, welche in den Introns oder Exons liegen können, binden. Beim Spleißen wird die sog. prä-mRNA, die noch Introns und Exons enthält, durch Ausschneiden der Introns in die reife mRNA überführt. Die Bindung eines RBPs an spleißregulatorische Sequenzen kann dazu führen, dass das regulierte Exon in die mRNA hineingespleißt oder aus der mRNA herausgespleißt wird. Durch dieses alternative Spleißen können Proteine mit veränderten Eigenschaften entstehen. Z. B. kann die Affinität, an andere Proteine zu binden, oder die katalytischen Eigenschaften des Proteins verändert werden. Außerdem können durch alternatives Spleißen vorzeitige Translations-Stop-Kodons in die mRNA eingeführt werden, was zu einem Abbruch der Translation und einem Abbau der mRNA führen kann.
MikroRNAs (miRNAs) sind 21-23 Nukleotide lange, nicht-kodierende RNAs, die eine wichtige Rolle bei der Genregulation spielen, insbesondere beim Abschalten von Genen. miRNAs binden an teilweise komplementäre Sequenzmotive, die meistens, aber nicht immer, in der 3'untranslatierten Region der mRNA von Zielgenen liegen. Durch die Bindung können diese mRNAs entweder in der Translation gehemmt oder abgebaut werden. Welcher der beiden Mechanismen greift, hängt von verschiedenen Faktoren wie z. B. dem Grad der Komplementarität zwischen miRNA und Ziel-mRNA ab.
Die Maus als Modellorganismus für posttranskriptionelle Regulation
Posttranskriptionelle Regulation wird seit Jahrzehnten studiert und viele bahnbrechende Entdeckungen wurden während dieser Zeit gemacht. Die überwiegende Anzahl der Studien wurde entweder im Zellkultursystem, in Invertebraten wie z. B. Drosophila melanogaster oder in niederen Vertebraten durchgeführt. Relativ wenig ist bekannt über posttranskriptionelle Regulation im Säugetierembryo.
Prozesse, die während der Embryonalentwicklung ablaufen und essentiell für die normale Entwicklung des Embryos sind, können im adulten Organismus fälschlicherweise reaktiviert werden und hier zur Entstehung von Krankheiten wie z. B. Tumoren führen. Viele dieser Prozesse wie z. B. die epithelial-mesenchymale Transition werden über posttranskriptionelle Regulationsmechanismen gesteuert. Bei der epithelial-mesenchymalen Transition verlieren Epithelzellen ihre epithelialen Eigenschaften, indem sie ihre Zellkontakte auflösen. Dadurch gewinnen sie mesenchymale Eigenschaften und können migrieren. Im Embryo ist die epithelial-mesenchymale Transition wichtig, damit Zellen ein neues Zielgebiet erreichen können. Wird sie jedoch während der Tumorgenese fälschlicherweise reaktiviert, können Zellen aus dem Primärtumor auswandern und in anderen Körperregionen Metastasen bilden. Posttranskriptionelle Regulation im Säugetierembryo zu verstehen, könnte also dazu beitragen, die Entstehung und das Fortschreiten von Krankheiten besser zu verstehen (Abb.1).
Die Maus eignet sich besonders gut als Modellorganismus, um posttranskriptionelle Regulation in vivo zu studieren. Neben den klassischen genetischen Methoden wie etwa dem Gen-Knockout sind in den letzten Jahren weitere Methoden entwickelt worden, mit deren Hilfe die Expression von Genen beeinflusst werden kann. Die Arbeitsgruppe von Jennifer Winter nutzt die Technik der In-utero-Elektroporation, um Gene überzuexprimieren oder herunterzuregulieren. Die In-utero-Elektroporation ist eine Methode zur Studie der embryonalen Entwicklung im zentralen Nervensystem der Maus. Bei der In-utero-Elektroporation werden zunächst Mäuseembryonen vorübergehend gemeinsam mit dem Uterus aus dem Mutterleib entnommen. DNA wird dann durch den intakten Uterus des Muttertieres hindurch in einen Hohlraum des Großhirns, den sogenannten lateralen Ventrikel, injiziert. Anschließend werden Elektroden an das Gehirn des Embryos angelegt, kurzzeitig ein elektrisches Feld erzeugt und dadurch die injizierte DNA in die benachbarten Zellen aufgenommen. Daraufhin werden die Embryonen in die Mutter zurückgegeben. Nach 24 - 48 Stunden werden die Embryonen wieder entnommen und analysiert (Abb.2).
Der sich entwickelnde zerebrale Kortex als experimentelles System
Die Entwicklung der In-utero-Elektroporation ermöglicht einen räumlich und zeitlich eng begrenzten Gentransfer. Darüber hinaus sind – verglichen z.B. mit Gen-Knockouts – relativ zeitnahe Analysen möglich. Die Entwicklung der In-utero-Elektroporation lässt den sich entwickelnden zerebralen Kortex daher zu einem attraktiven experimentellen System werden. Da im Gehirn eine besonders große Anzahl RNA-bindender Proteine und miRNAs exprimiert wird, ist der zerebrale Kortex als experimentelles System insbesondere für Studien zur posttranskriptionellen Regulation geeignet.
Funktion des RNA-bindenden Proteins Fox2 im sich entwickelnden zerebralen Kortex
Das RNA-bindende Protein Fox2 ist ein alternativer Spleißfaktor. Fox2 kann an bestimmte Sequenzmotive binden, die in den Introns oder Exons seiner Zielgene liegen, und das alternative Spleißen von Exons regulieren. Ob das jeweilige Exon aus der mRNA heraus- oder in die mRNA hineingespleißt wird, hängt dabei anscheinend von der genauen Lage der Sequenzmotive ab. Über alternatives Spleißen reguliert Fox2 die Produktion epithelialer Isoformen einer Reihe von Proteinen. Auf Grund der spezifischen Regulation des Spleißens von epithelialen Isoformen, welche zur Unterdrückung der Expression von mesenchymalen Isoformen führt, wird vermutet, dass Fox2 epithelial-mesenchymale Transitionen verhindert. Hiermit übereinstimmend wurde beschrieben, dass die Unterdrückung der Fox2-Expression in Tumorzellen mit erhöhter Migration dieser Zellen einhergeht. Obwohl dies zeigt, dass die Analyse der Fox2-Funktionen von generellem Interesse ist, wurden noch keine In-vivo-Studien durchgeführt.
Im sich entwickelnden zerebralen Kortex des Mausembryos wird Fox2 sowohl in Neuronen als auch in neuralen Stammzellen des Neuroepithels exprimiert. Die Arbeitsgruppe um Jennifer Winter untersucht die Funktion von Fox2 während der embryonalen Entwicklung des zerebralen Kortex. Mithilfe der In-utero-Elektroporation wird die Expression von Fox2 im sich entwickelnden zerebralen Kortex der Maus gezielt verändert, um die Konsequenzen für die Neurogenese zu untersuchen.
Posttranskriptionelle Regulation von N-cadherin durch miRNAs
E-cadherin (Ecad) und N-cadherin (Ncad) sind transmembrane Zelladhäsionsmoleküle, die zur Proteinüberfamilie der Cadherine und zur Unterfamilie der Typ-I-Cadherine gehören. Ecad und Ncad besitzen einen sehr ähnlichen Proteinaufbau; beide Moleküle sind Komponenten der adherens junctions und regulieren Zellpolarität. Während Ecad jedoch in Epithelien exprimiert wird und hier durch die Lokalisation in den basolateralen adherens junctions die apikal-basale Polarität der Epithelzellen reguliert, wird Ncad vor allem im Nervengewebe und der Muskulatur exprimiert. Im Gegensatz zum proadhäsiven Ecad werden Ncad promigratorische Eigenschaften zugeschrieben. Während der epithelial-mesenchymalen Transformation erfolgt ein switch in der Expression von Ecad zu Ncad. Dieser bewirkt, dass die Zellen ihre epithelialen Eigenschaften verlieren und die Fähigkeit zur Zellwanderung gewinnen. Während dieser switch in der Embryonalentwicklung wichtige Funktionen erfüllt, z. B. während der Gastrulation, führt er bei der Tumorentwicklung zu einem invasiven Phänotyp und einer erhöhten Motilität der Tumorzellen und damit letztendlich zur Metastasierung.
Aufgrund der Bedeutung der epithelial-mesenchymalen Transformation für die Embryonalentwicklung und während der Tumorgenese ist es wichtig zu verstehen, durch welche Mechanismen die Expression von Ecad und Ncad reguliert wird. Während bereits zahlreiche Studien zur Expressions-Regulation von Ecad bestehen, ist über die Regulation der Expression von Ncad bisher relativ wenig bekannt. Die Arbeitsgruppe um Jennifer Winter beschäftigt sich mit der posttranskriptionellen Regulation von Ncad. Die 3'UTR der Ncad-mRNA ist in Vertebraten ungewöhnlich stark konserviert, was darauf hinweist, dass sie eine wichtige Funktion erfüllt. Mithilfe eines screens wurden mehrere MikroRNAs identifiziert, die die Expression von Ncad im Zellkultursystem regulieren. In der Zukunft soll untersucht werden, zu welchen Zeitpunkten der Embryonalentwicklung und in welchen Geweben die identifizierten miRNAs die Expression des Ncad-Gens verringern. Erste Experimente unter Einsatz der In-utero-Elektroporation weisen auf eine Funktion während der Entwicklung des zentralen Nervensystems hin.