Zebrafisch als Modell für die immunologische Forschung
Forschungsbericht (importiert) 2003 - Max-Planck-Institut für Immunbiologie und Epigenetik
Die Entwicklung und Funktion des so genannten adaptiven Immunsystems sind Gegenstand intensiver Forschungen in aller Welt. Diese Arbeiten sind von hoher medizinischer Bedetung, erhofft man sich doch davon verbesserte Verfahren zur Erkennung und Therapie von Störungen des Immunsystems. Angeborene und vor allem durch Infektionen (zum Beispiel mit HIV) erworbene Immunschwäche stellen ein immer größer werdendes Problem für die medizinische Versorgung dar. Desgleichen werden Patienten mit Autoimmunkrankheiten, bei denen sich das Abwehrsystem gegen körpereigene Strukturen wendet, immer häufiger.
Warum Zebrafische?
Säugetiere stellen für die experimentelle Immunologie wichtige Modelle dar, insbesondere da es oft möglich ist, die an ihnen gewonnenen Erkenntnisse direkt auf krankhafte Zustände beim Menschen zu übertragen. Die grundlagenorientierte immunologische Forschung hat aber immer auch Fragen nach der Entstehung des Immunsystems gestellt [1]. Um diese zu beantworten ist es wichtig, andere Wirbeltiere, zum Beispiel Vögel und Fische, zu untersuchen. Michael Schorpp und seine Arbeitsgruppe hat sich seit einigen Jahren mit dem Zebrafisch beschäftigt. Bei diesen Untersuchungen stellen die Forscher zwei Fragen: 1. Welche Besonderheiten hat das Immunsystem bei Säugern? Dies kann nur im Vergleich mit evolutionär älteren Organismen untersucht werden. 2. Welche Gene werden für die Ausbildung des für das Immunsystem wichtigen Organs, des Thymus, benötigt? Hier bietet sich der Zebrafisch als Untersuchungsobjekt an, da mit ihm groß angelegte genetische Screening-Verfahren zur Anwendung kommen können.
Dieses Projekt ist in seinem Umfang einzigartig und folgt einem langfristigen Ansatz, da der Zebrafisch bislang noch nicht für diese Fragestellungen herangezogen wurde und viele wichtige Untersuchungsmaterialien und -verfahren erst noch hergestellt und entwickelt werden müssen. Der Thymus entwickelt sich beim Fisch als erstes der wichtigen immunologischen Organe. Im Epithel der dritten Schlundtasche der Larve entwickelt sich das so genannte Thymusrudiment schon am dritten Tag nach der Befruchtung, in das einige Stunden später unreife Vorläuferzellen einwandern. Diese entwickeln sich dort in reife T-Zellen, die den Thymus nach einiger Zeit verlassen und sich im Körper des Fisches an der immunologischen Überwachung beteiligen. In vorbereitenden Studien haben die Wissenschaftler in Freiburg ein Verfahren entwickelt, die frühe Entwicklung des Thymus in Fischlarven zu verfolgen. Dieses wurde dann für die Anwendung im großen Stil bei Tausenden von Fischlarven adaptiert. Dann hat die Arbeitsgruppe in Freiburg versucht, durch Induktion von Mutationen im Erbgut von Zebrafischen Störungen der Thymusentwicklung hervorzurufen. In diesen Experimenten konnten die Forscher feststellen, dass es offensichtlich Gene gibt, die zumindest in den ersten Tagen der Embryogenese vor allem für die Entwicklung des Thymus benötigt werden. Nach diesen erfolgreichen Pilotexperimenten haben Michael Schorpp und sein Team sich am so genannten Tübingen 2000-Screen beteiligt, der im Umfang etwa zehnmal größer angelegt war und von Christiane Nüsslein-Volhard (Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie, Tübingen) koordiniert wurde. Im Folgenden soll ein kurzer Abriss über die bisher erzielten Ergebnisse gegeben werden.
Analyse von Zebrafischen mit gestörter Thymus-Entwicklung
In einer Population von männlichen Fischen wurden durch Behandlung mit einem chemischen Mutagen zufällige Veränderungen im Erbgut hervorgerufen. Samenzellen dieser Fische wurden dann zur Befruchtung von Eiern normaler Weibchen verwendet; dadurch wurden die Erbgutveränderungen auf die Nachkommen der behandelten Männchen übertragen. Das Ausmaß der Mutagenese war so gewählt, dass in der Vielzahl der Nachkommen möglichst jedes Gen mindestens ein Mal so beeinträchtigt werden sollte, dass es zu einem nachweisbaren Funktionsverlust kam. Die zunächst vereinzelten und dann durch Geschwister-Verpaarungen in einem Teil dieser Nachkommen in doppelter Ausprägung wieder zusammengeführten Mutationen wurden daraufhin untersucht, ob sie sich auf die Entwicklung und Differenzierung eines bestimmten Organsystems auswirken. In dem oben erwähnten Tübingen 2000-Screen haben die Wissenschaftler sich ganz auf die frühen Stadien der Thymusentwicklung konzentriert und dabei durch Nachweis der Aktivität eines für unreife Lymphozyten spezifischen Gens in über 100 Fällen eine abnormale Entwicklung des Thymus nachweisen können. Weiterführende Untersuchungen haben gezeigt, dass bei diesen Fischen mindestens 40, vermutlich aber noch weit mehr verschiedene Gene betroffen sind. Ein Beispiel für solche veränderten (=mutanten) Fische ist in Abbildung 1 gezeigt. Man erkennt deutlich das Fehlen einer für die normale Thymusentwicklung am Tag 5 nach der Befruchtung charakteristischen Gewebestruktur. Offensichtlich ist also in einem solchen Tier eine Genfunktion verloren gegangen, die für eine normale Thymusentwicklung unabdingbar ist.
Das in Freiburg entwickelte Untersuchungsverfahren wurde so gewählt, dass dabei zwei verschiedene Klassen von Entwicklungsstörungen aufgedeckt werden können. 1. Störungen in der Entwicklung von Lymphozyten können zu deren vollständigem oder teilweisem Ausfall führen, die Einwanderung in das Organrudiment beeinträchtigen oder dort eine Fehldifferenzierung auslösen. 2. Die Entwicklung der Anlage kann so fehlerhaft sein, dass es zu keiner Besiedlung durch Lymphozyten kommt. Die Wissenschaftler erwarten, dass sie mithilfe dieses Ansatzes einen Großteil der für die Thymusentwicklung bedeutsamen Gene auffinden können. Die Identifizierung der einer Mutation, die einer der oben beschriebenen Störungen zugrunde liegt, gestaltet sich jedoch oft wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen, betrifft die relevante Veränderung doch im Allgemeinen nur einen Basenbaustein von mehreren Milliarden des gesamten Erbguts. Glücklicherweise können dabei Kartierungsverfahren zur Anwendung kommen, die bei anderen Organismen erprobt wurden und auch beim Zebrafisch nützlich sind. Außerdem macht die fortschreitende Analyse des Zebrafischgenoms die Arbeit zusehends leichter. Von den über 40 betroffenen Genen in der Mutantensammlung ist die Identität von zweien bereits aufgeklärt worden. Unter diesen Genen ist ein so genannter Transkriptionsfaktor, der in unreifen Zellen des blutbildenden Systems aktiv ist. Eine einzige Basenveränderung im Gen führt bei der Proteinsynthese zum vorzeitigen Abbruch, sodass dem Faktor ein für die Funktion unerlässlicher Teil des Proteins fehlt. Weiterführende Untersuchungen zeigten, dass die Entwicklung der Lymphozyten in der Embryogenese der mutanten Fische schwerst beeinträchtigt ist und sich erst im erwachsenen Fisch zumindest zum Teil wieder erholt. Ein zweites betroffenes Gen kodiert für ein Signalmolekül, das allem Anschein nach die Wechselwirkung von Epithel und umgebendem Stroma schon bei der frühen Reifung der Thymusanlage steuert. Der Verlust dieser Funktion in den Mutanten führt zu einer frühen Blockade der Thymusentwicklung.
Die Wissenschaftler um Michael Schorpp hoffen, in den nächsten Jahren alle in ihrem Screen entdeckten Gene identifizieren zu können, um damit ein klares Bild von der Entwicklung der Lymphozyten und des Thymus zu zeichnen. Gleichzeitig planen sie, die Bedeutung der beim Zebrafisch aufgefundenen Gene auch bei der Maus zu überprüfen, um den Gründen für die zunehmend verfeinerte Immunfunktion im Verlaufe der Evolution näher zu kommen.
Literatur
[1] Boehm, T., C. C. Bleul and M. Schorpp: Genetic dissection of thymus development in mouse and zebrafish. Immunological Reviews 195, 15-27 (2003).