Am Scheideweg
Wissenschaftler erforschen epigenetische Mechanismen der Blutzellbildung
Im Knochenmark entstehen aus Blutstammzellen über Vorläuferzellen eine Vielzahl von Blutzelltypen mit unterschiedlichen Funktionen: weiße Blutzellen, verantwortlich für die Immunabwehr; rote Blutkörperchen, verantwortlich für den Sauerstoffstransport oder auch Blutplättchen, wichtig für die Blutgerinnung. Zu welchem Zelltyp sich eine Zelle entwickelt, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Das Labor hat von Asifa Akhtar zeigt in seiner neuesten Studie, dass die richtige Dosierung des Enzyms MOF, ein epigenetischer Regulator, während der Entwicklung das Zellschicksal entscheidend beeinflusst. Wenn das Enzym zum richtigen Zeitpunkt aktiv ist, aktiviert es in Blutstammzellen und Vorläuferzellen Entwicklungsprogramme und die Zellen entwickeln sich zu roten Blutkörperchen.
Der menschliche Körper besitzt durchschnittlich etwa 35 Billionen rote Blutkörperchen (Erythrozyten). Jede Sekunde sterben etwa drei Millionen dieser kleinen scheibenförmigen Zellen ab. Genauso viele Blutkörperchen werden jedoch pro Sekunde auch produziert, um das Niveau von aktiven Erythrozyten im Blutsystem aufrechtzuerhalten. All diese Zellen durchlaufen dabei einen mehrstufigen Differenzierungsprozess, der als Erythropoese bezeichnet wird. Ausgehend von hämatopoetischen Stammzellen (HSZ) im Knochenmark, den Vorläufern jeder Blutzelle einschließlich aller Arten von Immunzellen, entwickeln sich angehende Blutzellen zunächst zu multipotenten Vorläuferzellen (MPP) und reifen anschließend in einem allmählichen Prozess der Spezialisierung zu roten Blutkörperchen heran.
Wenn dieser Entwicklungsprozess gestört ist, hat das ernste Auswirkungen auf die Gesundheit. Entwickeln sich zu wenig HSZ zu roten Blutkörperchen, ist man anfälliger für Anämien. Störungen auf dem Entwicklungspfad von HSZ über Vorläuferzellen zu Immunzellen (weiße Blutzellen) werden hingegen mit dem Ausbruch von Leukämien in Verbindung gebracht.
Epigenetische Steuerung der Blutbildung
In seiner neuesten Studie hat das Labor von Asifa Akhtar am MPI für Immunbiologie und Epigenetik in Freiburg den Differenzierungsprozess von Blutzellen unter epigenetischen Gesichtspunkten genauer analysiert. Dabei haben die Freiburger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler entdeckt, wie das Enzym MOF, ein wichtiger epigenetischer Regulator, das Zellschicksal der HSZ bei der Erythropoese steuert.
„Die Veränderung des Chromatins ist eines der wichtigsten Signale innerhalb der Zelle, das Prozesse der Zellentwicklung steuert,“ sagt Asifa Akhtar. In allen Zellen ist die DNA um sogenannte Histonproteine herum gewickelt und bildet das Chromatin. Diese Verpackung der DNA spielt eine entscheidende Rolle bei der zelltypspezifischen Genregulation und natürlich auch bei der Entwicklung der roten Blutkörperchen. In seinem Grundzustand ist das Chromatin nicht »permissiv«, d.h. die Gene sind ausgeschaltet. Aber das Verschieben von Histonen öffnet das Chromatin, die DNA wird zugänglicher und Gene können abgelesen werden.
Epigenetik führt Stammzellen auf den richtigen Entwicklungspfad
Es ist bekannt, dass das Enzym MOF das Chromatin öffnet. Als das Labor die MOF-Anlagerung während der Erythropoese bei Mäusen verfolgte, fanden sie heraus, dass das Enzym die Erythropoese dynamisch reguliert, indem es die Struktur des Chromatin von HSZ und den Vorläuferzellen der roten Blutkörperchen verändert. MOF bewirkt, dass chemische Marker an bestimmte Stellen der Histone angefügt werden. So wird die Struktur des Chromatins aufgelockert und die dort verpackten Gene können abgelesen werden. „Unsere Daten zeigen, dass eine richtige Dosierung des Enzyms zum richtigen Zeitpunkt während der Entwicklung der Blutzellen wesentlich sind, um das Chromatin für die Aktivierung des Erythroid-Entwicklungsprogramms vorzubereiten. Dieser Prozess ist wichtig. Er stellt sicher, dass das korrekte Transkriptionsfaktornetzwerk aktiv wird. Dieses wird in der Folge bedeutsam, da es für die Fortsetzung der Entwicklung hin zum roten Blutkörperchen ausschlaggebend sein wird,“ sagt die Erstautorin der Studie Cecilia Pessoa Rodrigues.
Die Max-Planck-Forscher sind davon überzeugt, dass diese Erkenntnisse einen wichtigen Beitrag zum Verständnis des Zellschicksals von Blutzellen leisten und zukünftig auch zu neuen Therapieansätzen bei Krankheiten wie Leukämie oder Anämie führen könnten.
„Mit Blick auf unserer Daten ist es nicht überraschend, dass eine niedrige MOF-Konzentration mit Krankheiten wie der akuten myeloischen Leukämie in Verbindung gebracht werden,“ sagt Asifa Akhtar. Obwohl die genaue Konsequenz niedriger MOF-Konzentrationen beim Menschen in dieser Studie noch unbeantwortet blieb, vermuten die Freiburger Forscher ausgehend von ihren Forschungsergebnissen in Mäusen, dass eine ausbalancierte und kontrollierte Aktivität des epigenetischen Regulators für die normale Entwicklung hämatopoetischer Zellen unerlässlich zu sein scheint.
„Für ein besseres Verständnis der Hämatopoese wird das Aufdecken des richtigen Grades an Chromatinzugänglichkeit und folglich der genregulatorischen Mechanismen, die die Zelldifferenzierung feiner abstimmen, sehr aufschlussreich sein,“ sagt Asifa Akhtar.