Gute Gefährten: das Gehirn und seine Gefäße

Studie zeigt, wie Blutgefäße den Stoffwechselzustand von Nervenzellen erkennen

15. Juni 2020

Das Gehirn und die es umgebenden Blutgefäße stehen in einer engen Beziehung miteinander. Die Gefäße versorgen die energiehungrigen Nervenzellen mit Nährstoffen und schützen sie zugleich vor Krankheitserregern. Forscher des Max-Planck-Instituts für Immunbiologie und Epigenetik in Freiburg haben jetzt entdeckt, wie Blutgefäßzellen den Stoffwechselzustand des Gehirns wahrnehmen und daraufhin die Gefäßfunktionen anpassen können. Fehlfunktionen dieses Mechanismus ziehen ernsthafte Folgen wie Gefäßentzündungen oder den Zusammenbruch der Blut-Hirn-Schranke nach sich. Die Ergebnisse des Teams um Asifa Akhtar könnten für Patienten mit neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer oder vaskulärer Demenz von Bedeutung sein, da der Ausbruch dieser altersbedingten Erkrankungen oft mit Gefäßdefekten im Gehirn einhergeht.

Das Gehirn ist unser energiehungrigstes Organ mit einem entsprechend sehr aktiven Stoffwechsel. Es ist für unsere Gedanken, Sprache, die Fähigkeit zu lernen und uns zu bewegen verantwortlich. Dazu wird es von einem dichten Geflecht an Blutgefäßen von etwa 600 km Länge angetrieben, das es mit den notwendigen Nährstoffe versorgt und Abfallprodukte abtransportiert. Gleichzeitig ist das Gehirn aber auch auch sehr empfindlich. Daher haben sich die Blutgefäße im Gehirn zu einer dichten Schutzbarriere, der sogenannten Blut-Hirn-Schranke, formiert, die die Bewegungsfreiheit von Molekülen in das Gehirn hinein und aus dem Gehirn heraus einschränkt. Einerseits wird so das Eindringen von Krankheitserregern oder Toxinen wirksam verhindert, andererseits können benötigte Botenstoffe oder Nährstoffe ungehindert passieren.

Epigenetik schaltet den Stoffwechsel ein

Es ist wichtig, dass das Gehirn seine unmittelbare zelluläre Umgebung regulieren kann und entsprechend kommunzieren das Gehirn und dessen Gefäße miteinander. Neueste Forschung im Labor von Asifa Akhtar in Freiburg hat nun zeigen können, dass Blutgefäße im Hirn den Stoffwechselzustand benachbarter Nervenzellen „wahrnehmen“ können.

Die Forscher fanden heraus, dass der epigenetische Regulator MOF erforderlich ist, um Neuronen mit den richtigen Stoffwechselenzymen auszustatten, die für die Umwandlung von Fettsäuren benötigt werden. „Irgendetwas muss den Nervenzellen sagen, dass Nährstoffe vorhanden sind, und dass sie die Programme einschalten schalten sollten, die für die Verarbeitung dieser Nährstoffe benötigt werden“, erklärt Bilal Sheikh, Erstautor der Studie. „Und genau das macht das Enzym MOF. Es wandert zur DNA und schaltet die genetischen Programme ein, die es den Nervenzellen ermöglichen, Fettsäuren zu verarbeiten“, sagt Bilal Sheikh.

Fettsäuren kommen in der Nahrung vor und werden hauptsächlich zur Energiegewinnung und aber auch zum Aufbau komplexer Lipidverbindungen verwendet, die in den Zellmembranen benötigt werden. Wenn die Aktivität von MOF gestört ist, wie dies beispielsweise bei neuronalen Entwicklungsstörungen auftritt, können die Neuronen Fettsäuren nicht verarbeiten. Dies führt zu ihrer Ansammlung in den Zwischenräumen zwischen den Gehirnzellen. In ihren Studien deckte das Team um Asifa Akhtar auf, dass dieses Ungleichgewicht der Fettsäuren von den neuronalen Blutgefäßen wahrgenommen wird und sie zu einer Stressreaktion anregt, bei der die Blut-Hirn-Schranke gelockert. Bleibt das Ungleichgewicht bestehen, kann die nun durchlässige Blut-Hirn-Schranke einen Krankheitszustand herbeiführen.

Zerstörung des Mikrogefäßsystems

„Unsere Arbeit zeigt, dass der richtige Stoffwechsel im Gehirn entscheidend für dessen Gesundheit ist. Ein defektes neurales Stoffwechselmilieu kann Gefäßentzündungen, Funktionsstörungen der Zellen, die die Blut-Hirn-Schranke bilden, und eine erhöhte Permeabilität hervorrufen. Was folgen kann, ist der Zusammenbruch wichtiger Gefäßfunktionen“, erklärt Asifa Akhtar. Diese Entdeckung ist besonders wichtig, da letzteres ein charakteristisches Merkmal für den Ausbruch altersbedingter Krankheiten wie Alzheimer und vaskulärer Demenz ist. Eine bessere Charakterisierung der molekularen Veränderungen, die eine vaskuläre Dysfunktion auslösen, wird dazu beitragen zukünftig auch neue Behandlungen für diese Krankheitszustände zu finden.

Die Studie legt so den Grundstein für ein besseres Verständnis darüber, wie Nervenzellen und Blutgefäße im Gehirn miteinander kommunizieren und wie sich Veränderungen im Stoffwechselmilieu eines Zelltyps direkt auf die Funktionalität der umgebenden Zellen und damit auf die gesamte Organfunktion auswirken können.

MR

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