Rolf Kemler ist Gairdner-Preisträger 2020
Freiburger Max Planck Direktor wird für die Entdeckung der Zelladhäsionsmoleküle geehrt
Rolf Kemler, Direktor am Max-Planck-Institut für Immunbiologie und Epigenetik Freiburg von 1992-2013, ist gemeinsam mit Masatoshi Takeichi vom japanischen Riken Center mit dem Canada Gairdner International Award 2020 ausgezeichnet worden. Die beiden Biologen werden für ihre Forschungsarbeiten zu Zelladhäsionsmechanismen geehrt. Ihre Beiträge sind nicht nur zentral für das Verständnis des Zell-Zell-Zusammenhalts, sondern auch für die Kommunikation zwischen den Zellen. Die entdeckten Moleküle und Mechanismen spielen außerdem in der Krebsforschung eine wichtige Rolle, da Fehlregulierungen bei der Entstehung verschiedener Krebsformen beteiligt sind. Der Preis der Gairdner Stiftung ist Kanadas renommiertester Wissenschaftspreis und würdigt weltweit anerkannte Forscher für ihre wegweisenden Arbeiten, die große Bedeutung für die Medizin und die menschliche Gesundheit haben.
Rolf Kemler, Emeritus Direktor des MPI für Immunbiologie und Epigenetik wird mit dem Canada Gairdner International Award 2020 ausgezeichnet. Kemler wird für die Entdeckung und Erforschung des sogenannten Zelladhäsionsmoleküls E-Cadherin geehrt. Das Protein spielt eine wichtige Rolle für den Zusammenhalt von Zellen und Gewebeverbänden sowie für die Kommunikation von Zelle zu Zelle. Der Max-Planck-Direktor erhält die Auszeichnung, die zu den renommiertesten internationalen Preisen in der Biomedizin gehört, gemeinsam mit Masatoshi Takeichi vom Riken Center for Developmental Biology in Kobe, Japan.
Klebstoff zwischen den Zellen
Bereits Ende der 70er Jahre wandte sich Rolf Kemler, damals noch Postdoktorand im Pariser Labor des französischen Biologen und Nobelpreisträger Francois Jacob, dem Studium der Zelladhäsionsmechanismen (von lat. adhaesio für Anhaften) im sich entwickelnden Embryo zu. In der frühen Embryonalentwicklung teilt sich die befruchtete Eizelle und bildet ein Zellpaket von 16 bis 32 locker miteinander verbundener Zellen, die sogenannte Morula. Damit sich daraus ein komplexer Organismus, wie der Mensch mit mehr als 100 Billionen Zellen, entwickeln kann, müssen sich diese Zellen zunächst fest miteinander verbinden.
In Maus-Studien entdeckte Rolf Kemler dabei ein Molekül mit dem Namen E-Cadherin, dass wie Klebstoff für die enge Adhäsion zwischen den Zellen von Embryonen im Morula-Stadium verantwortlich ist. Heute weiß man, dass die E-Cadherinmoleküle nicht nur während der Embryonalentwicklung und in zahlreichen Geweben wie dem der Leber oder des Darms für den Zell-Zell-Kontakt und somit für den festen Zusammenhalt des Gewebes zuständig ist, sondern es wurden zudem dutzende Varianten von Cadherinmolekülen gefunden, die für die Entwicklung komplexer Körperstrukturen erforderlich sind.
Der Zusammenhalt durch diese Adhäsionsmoleküle, die durch Kemler zuerst in der Maus entdeckt wurde, aber heute in allen vielzelligen Tieren bekannt sind, gelingt, aufgrund eines ausgeklügelten Mechanismus. Einzelne Cadherinmoleküle schließen sich auf der Zelloberfläche zu Paaren zusammen, die dann mit Paaren auf der Oberfläche der gegenüberliegenden Zelle nach dem Reißverschlussprinzip ineinander greifen.
Mehr als nur Klebstoff: Adhäsionsmoleküle dienen der Zellkommunikation
In Folgestudien entdeckte Kemler, dass E-Cadherin nur durch das Zusammenwirken mit bestimmten Brückenmolekülen, sogenannte Catenine, ihre volle Haftfunktion entfalten. Von diesen Brückenmolekülen erhielt vor allem das von ihm charakterisierte β-Catenin bald weltweites Interesse. Es erwies sich als ein zentraler Faktor für die Signalübertragung der Zellen. Der Wnt/β-Catenin-Signalweg steuert zahlreiche Vorgänge in der Embryonalentwicklung, wie die Ausbildung der Körperachse und die Bildung von Organanlagen, und ist besonders in embryonalen und adulten Stammzellen aktiv. Eine fehlerhafte Regulation oder Mutation von β-Catenin führt zu Tumoren.
Die Cadherin- und Cateninmoleküle haben so auch eine besondere medizinische Bedeutung. Bei verschiedenen Krebsarten wie Darm- oder Magenkrebs haben die Adhäsions-Moleküle ihre verbindende Funktion teilweise eingebüßt. In der Folge werden die veränderten Zellen nicht mehr festgehalten und können ungehindert umher wandern. Hinzu kommt, dass ein wichtiges Signal nicht übermittelt werden kann. Es ist das Signal an die Tumorzellen, ihre Teilung zu beenden. So wachsen sie ungehindert weiter. E-Cadherin ist folglich auch als Tumor-Unterdrückungs-Protein wichtig.
Die Erforschung von Cadherinen und mit diesen assoziierten Molekülen, die maßgeblich von Kemler und Takeichi geprägt wurden, hat großen Einfluss auf so unterschiedliche Bereiche wie Entwicklungsbiologie, Zellbiologie, Onkologie, Immunologie und Neurowissenschaften.
Erfahren Sie hier mehr über die Entdeckung der E-Cadherin-Moleküle im Video der Gairdner Foundation:
2020 Gairdner International Awards: Rolf Kemler
Die offizielle Preisverleihung findet im Rahmen der jährlichen Canada Gairdner Awards Gala in Toronto voraussichtlich im Herbst 2020 statt.
Biographie Rolf Kemler
Rolf Kemler, geboren 1945 in Burghaun, studierte Veterinärmedizin an der Justus-Liebig-Universität in Gießen und promovierte 1973 am Freiburger Max-Planck-Institut für Immunbiologie. Anschließend war er bis 1981 Postdoc am Institut Pasteur in Paris im Labor von Francois Jacob. Von 1981 bis 1987 leitete Kemler eine Nachwuchsforschungsgruppe am Friedrich-Miescher-Laboratorium der MPG in Tübingen und habilitierte sich 1985 in den Fächern Entwicklungsbiologie und Immunbiologie. 1987 kehrte er als Gruppenleiter an das Max-Planck-Institut für Immunbiologie in Freiburg zurück. 1992 wurde Rolf Kemler Wissenschaftliches Mitglied der MPG und zum Direktor am Max-Planck-Institut für Immunbiologie und Epigenetik in Freiburg ernannt, wo er bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2013 die Abteilung für Molekulare Embryologie leitete. Neben seinen Studien zu Zelladhäsionsmechanismen war Rolf Kemler am Anfang der 1980er Jahre der erste in Deutschland, der embryonale Stammzellen (ES) der Maus züchtete, um diese erforschen und nutzen zu können. Die von Kemler entwickelte ES-Zelllinie D3 war für viele Jahre die ES-Zelle der Wahl bei der Herstellung von Knockout-Mäusen. Rolf Kemler erhielt 1992 den Max-Planck-Forschungspreis und 1995 den Gay-Lussac-Humboldt-Preis des französischen Ministerium für Hochschulwesen und Forschung.
Die Canada Gairdner International Awards
Die Canada Gairdner International Awards, die seit 1959 von der kanadischen Gairdner Foundation jährlich verliehen werden, ehren weltweit anerkannte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für ihre wegweisenden Arbeiten in der biomedizinischen Grundlagenforschung, die entscheidend zum Verständnis der menschlichen Biologie sowie von Erkrankungen beigetragen haben. Die Auszeichnung ist mit 100.000$ (CDN) dotiert. Seit der ersten Preisverleihung sind 387 Wissenschaftler aus 30 Ländern mit dem Canadian Gairdner Award gewürdigt wurden, von denen bislang auch 92 den Nobelpreis erhalten haben.